
Kannibalismus hat eine lange Tradition, die bis in die frühe Steinzeit zurück nachweisbar ist. Selbst heutzutage wird am Gründonnerstag zum Osterfest nicht nur dem Tod und der Wiederauferstehung Jesu Christi gedacht, sondern auch die Eucharistie gefeiert. Mehr oder weniger symbolisch werden Wein und Brot als das Blut und der Leib des Messias verspeist. Besonders im katholischen Glauben verwandeln sich die Speisen tatsächlich in Blut und in Fleisch – was die FAZ dieses Jahr als gelungenen Aprilscherz aufgriff.
Bei Funden von steinzeitlichem Kannibalismus vermuten Archäologen oft, dass unsere Vorfahren ihre Artgenossen aus Hunger verspeisten. Aber lohnt es sich überhaupt ernährungstechnisch, Menschenfleisch zu essen? Diese Frage wurde nun zum ersten Mal beantwortet. Der Archäologe James Cole von der University of Brighton stellte die chemische Zusammetzung des Körpers von vier männlichen Personen zusammen, die 1945, 1953 und 1955 veröffentlicht wurden. Unter „chemischer Zusammensetzung“ verstanden die Forscher damals aber etwas anderes als die Wissenschaft knapp 70 Jahr später. Sie bestimmten den Gehalt an Wasser, Eiweiß, den Anteil an Asche, sowie die Elemente Calcium und Phosphor. Weitere organische Bestandteile wurden zusammen als „Ether-Extrakt“ bestimmt.
Die damaligen Wissenschaftler gaben für jede Gewebeart den Anteil an der Körpermasse und den Brennwert an. Zusätzlich bestimmten sie den Eiweißgehalt und an Anteil an Mineralstoffen, wie Calcium und Phosphor. Cole allerdings listet nun im Fachjournal Scientific Reports den Nährwert der einzelnen Organe auf – was seine Vorgänger bisher nicht getan hatten.
Auch andere Körperteile wurden bekanntermaßen beim Kannibalismus gegessen, inklusive der Lungen, Leber, Gehirn, Herz, Nervengewebe, Knochenmark, Genitalen und der Haut.
So errechnete er, dass ein menschlicher Körper durchschnittlich pro Kilogramm 1.300 Kilokalorien enthält. Das ist nicht viel: In etwa entspricht es dem Nährwert pro Kilogramm eines Steinbocks.
Nährwert von sechs Menschen entspricht einem Pferd
Cole kommt ingesamt zu dem Schluss, dass Kannibalismus in der Frühzeit des Menschen vermutlich weniger zur Nahrungsaufnahme betrieben wurde, sondern aus rituellen Gründen. Moderne Menschen werden aus einer Vielzahl von Gründen zu Kannibalen: Dabei kann es sich um das Praktizieren von Ritualen handeln, das Ausleben von Aggressionen, um Ernährungsaspekte oder die schlichte Notwendigkeit zum Überleben.
Vermutlich überwogen Ritualzwecke
Mit seiner Nährwerttabelle hofft der britische Archäologe, Funde von prähistorischem Kannibalismus besser einordnen zu können. So können Forscher damit hoffentlich besser verstehen, aus welchen Gründen unsere Vorfahren ihre Artgenossen gegessen haben könnten. Bloßer Hunger scheint jedenfalls kein Hauptgrund gewesen zu sein.